Ghosting

06.12.2023

Ghosting oder Silent Treatment: Egal wie man es nennt, es macht etwas mit uns und der Gesellschaft.

6-mal ist es mir im letzten halben Jahr passiert. Das ist im Schnitt 1 x pro Monat. Soweit, so krass aus meiner Sicht.

Ghosting ist offensichtlich nicht nur ein aktueller Trend im Online-Dating, sondern scheint auch darüber hinaus im Job-Kontext schwer in Mode zu sein. Erstaunlicherweise auch in Branchen, die „Kommunikation“ außen dran stehen haben. Ghosting, also das Abbrechen einer Beziehung, egal, welcher Art, ohne Erklärung, kann sehr belastend sein für die Person, der es widerfährt. Egal, ob es beim Dating passiert oder auch im Job. 

Die Gründe dafür können ganz unterschiedlich sein - der Effekt ist dennoch immer derselbe: Wir fühlen uns nicht wertgeschätzt oder als „einfach nicht vorhanden“ und erleben diese Form der Zurückweisung als Stress. Denn Ghosting zerstört das substanzielle Verständnis für menschliches Miteinander und greift damit unser Grundbedürfnis nach Sicherheit, Nähe und Orientierung an und hat damit nachhaltige Folgen nicht nur für die “Geghosteten”, sondern für die gesamte Gesellschaft. 

Ghosting oder auch Silent Treatment: Was genau bedeutet das?

Stell dir vor, du schreibst an Vorgesetzte oder Kolleg:innen und bittest um ein persönliches Gespräch. Was passiert? Du bekommst keine Antwort. Heute nicht, morgen nicht, eine Woche lang nicht. Irgendwann merkst du: Da kommt nichts mehr. Du wirst ignoriert. Die Konversation wurde schweigend beendet - einseitig. Wie unangenehm.

Aber auch in anderen Kontexten kommt Ghosting oder Silent Treatment vor: Wir bewerben uns auf eine offene Stelle und erhalten noch nicht mal eine Absage. Wir teilen einen Gedanken in einem Team-Meeting und bekommen keine Reaktion darauf. Du hältst eine Präsentation für ein kreatives Konzept, welches mit viel Herzblut erstellt wurde, die Wochen vergehen und es gibt keinerlei Feedback. Du lernst neue Menschen kennen, egal ob im Businesskontext oder privat und triffst Dich ein paarmal mit ihnen und man plant, gefühlt beidseitig angetan, weitere Verabredungen. Und plötzlich reißt der Kontakt einfach komplett ab. Du schreibst noch ein- oder zweimal, bekommst aber keine Antwort mehr. Über Monate. 

Egal in welchem Bereich unseres Arbeitsalltags: Diese Form des Verhaltens kann starke Unsicherheit und Frustration auslösen und für so manchen zu einer wirklichen Belastung werden. Denn wir wissen nicht, was passiert ist, fragen uns, ob wir etwas falsch gemacht haben und geraten in eine Situation, die komplett außerhalb unserer eigenen Kontrolle ist. 

Auswirkungen von Silent Treatment

Wenn man von einer anderen Person plötzlich ignoriert wird, wird brauchbar sozialisierten Menschen immer ein mentaler Tritt versetzt. Dafür muss die abgebrochene Beziehung noch nicht einmal elementar oder besonders wichtig gewesen sein. Wir sind nun einmal so designt, dass wir auf Ignoranz, egal von wem, mit leichtem bis wirklich schweren Stress reagieren. Weil wir die Beweggründe des anderen nicht kennen, suchen wir den Fehler bei uns. Wir empfinden Unsicherheit oder Trauer und oft auch Scham.

Wehren kann man sich dagegen kaum, denn dafür ist unser Stammhirn, in dem Fall der Master of desaster, zu sehr auf Verbundenheit programmiert. Denn wir konnten sowohl in der Steinzeit als auch heute nur kooperativ überleben. 

In diesem Moment kann es sehr hilfreich sein zu verstehen, woher es kommen kann, dass unser Gegenüber uns ignoriert. Denn dann kann es uns gelingen, dass wir nicht die Verantwortung dafür übernehmen, und wir können aus der negativen Gefühlsspirale herauskommen.

Was sind die Gründe für Ghosting? Entsteht es aus Angst, aus Manipulation oder aus Unvermögen?

Ghosting als Manipulationstaktik

Das Schweigen des anderen ist extrem unangenehm. Wir wollen das nicht, können es oft kaum aushalten, möchten etwas tun, um es zu beenden. Die Konsequenz: Wir lenken ein, fragen nach, erklären uns, möglicherweise entschuldigen wir uns, obwohl wir noch nicht einmal richtig wissen, wofür.

Wenn es zum Beispiel einen Konflikt im Team gegeben hat und mein Kollege plötzlich aus dem Gespräch aussteigt, dann ist genau das häufig die Folge: Wir versuchen im Kontakt zu bleiben und reagieren dafür auch manchmal auf eine Art und Weise, die eigentlich nicht unserer Haltung und Überzeugung entspricht.

Damit hat unser Gegenüber genau das erreicht, was er oder sie wollte: Wir wurden manipuliert und die Diskussion wurde somit zum Wohle der anderen Person entschieden. Und das auch dann, wenn ich eigentlich spüre, dass es falsch ist, dass es gegen meine Überzeugung ist. Dennoch ist in solchen Situationen unsere Sehnsucht nach Harmonie oft stärker als das Vertreten unserer Überzeugungen.

Angst und Scham als Ursache für Ghosting

Wir sind uns einig: Ghosting ist keine feine Art und kann bei unserem Gesprächspartner zu sehr negativen Gefühlen führen. Dennoch sollten wir eine Sache beachten: Die Absicht dahinter ist nicht immer schlecht. 

Es kann zum Beispiel auch sein, dass jemand den Kontakt abbricht, weil er oder sie Angst hat vor einer Reaktion der oder des anderen. Oder auch, weil sich die Person schämt für ein bestimmtes Verhalten oder für etwas, das gesagt wurde. Oder schlichtweg vor Konsequenzen irgendeiner Art bei weiterem Kontakt.

Es geht hier also um eine klassische Vermeidungsstrategie: Klappe zu, Affe tot. 

Solange ich mich aus der Konversation rausziehe, muss ich nicht die unangenehmen Gefühle aushalten. Auch wenn das bedeutet, dass ich genau solche negativen Gefühle bei meinem Gegenüber auslöse. Aber da ist die Jacke doch näher als die Hose. Oder umgekehrt, je nachdem, wie man es fühlt.

Unvermögen als potenzielle Ursache für Ghosting

Auch das kommt vor: Du wirst von jemandem geghostet, der oder die es einfach nicht besser kann. Weil die Person nicht in der Lage ist, angemessen zu kommunizieren oder ein Mindestmaß an sozialen Standards einzuhalten. Wahrscheinlich nie gelernt und auch nichts dazu gelernt.

Das hat dann im ersten Moment gar nichts mit uns zu tun und dennoch erleben wir die negativen Konsequenzen von solch einem Verhalten hautnah. 

Das Problem ist, dass leider immer noch viele Positionen ausschließlich nach Leistung und nicht so sehr nach sozialer Intelligenz besetzt werden. Somit sind wir immer wieder Chefs oder Mitarbeitenden ausgesetzt, die nicht in der Lage sind, sich sozial brauchbar zu verhalten. Wir als Leidtragende:r haben dann oft nur eine Option: Wir brauchen Strategien, um mit solch einem Verhalten gut umgehen zu können.

Wie kann ich reagieren, wenn ich geghostet werde?

  1. Lass dich nicht zu einer überstürzten Reaktion verleiten

Es kann uns im ersten Moment überwältigen, wenn wir Silent Treatment erfahren. Oft sprudeln ganz viele unterschiedliche Gefühle hoch - alle davon negativ und belastend. Denn viele von uns kennen Silent Treatment noch von Eltern oder Großeltern als Erziehungsmaßnahme. Mit das Schlimmste, was man Kindern antun kann, aber damals wusste man es eben nicht besser und die Maßnahme war in der Regel sehr wirkungsvoll.

In einer solchen emotionalen Ausnahmesituationen kennt unser System oft nur zwei Optionen: In eine sofortige krasse Offensive gehen, um eine Erklärung oder Reaktion hervorzurufen oder selbst den kompletten Rückzug antreten. Beides macht es aber für uns nicht besser.

Auch wenn es schwerfällt, halte dich mit einer direkten Reaktion zurück. Es kann helfen, erstmal ein paar tiefe Atemzüge zu nehmen. Vielleicht auch eine Runde spazieren gehen oder dich bewusst mit einem anderen Thema beschäftigen.

2. Frage dich, wieso dich die andere Person ignoriert

Es ist sinnvoll zu analysieren, wieso uns die andere Person ignoriert. Im ersten Moment werden wir es wahrscheinlich auf uns und unser Verhalten beziehen: Habe ich etwas gesagt oder getan, das dazu geführt hat? Solch eine Reflektion ist absolut angemessen und ist immer auch Teil der Auseinandersetzung. Und es zeigt vor allem, dass wir selbstreflexiv handeln. Damit haben wir vielen Menschen bereits etwas voraus. Denn nicht jeder hinterfragt sich selbst, bzw. sein Verhalten. Noch weniger beobachten viele ihr eigenes Verhalten oder hören sich mal selbst zu.

Die Analyse sollte jedoch nicht hier verharren. Vielmehr solltest du dich fragen, welche Gründe die andere Person haben könnte, die unabhängig von dir sind: Könnte es Scham oder Angst sein? Ist sie vielleicht sozial massiv inkompetent und nicht in der Lage, Konflikte auf anderem Weg zu klären?

Das hilft dir dabei, die Situation einzuordnen und zu verstehen. Denn genau das macht es sonst so schwierig für uns: Nicht zu wissen, woher die Ignoranz kommt.


3. Suche das Gespräch

Wenn du durchgeatmet und analysiert hast, ist eventuell jetzt der richtige Zeitpunkt, dein Gegenüber zu konfrontieren. Ich würde dir dazu raten, dass du dich darauf vorbereitest und eine innere Haltung einnimmst. Das hilft dir dabei, dass die Situation nicht aus dem Ruder läuft und dass du dein Gesicht wahren kannst. 

Versuche, deinem Gegenüber keine Vorwürfe zu machen, sondern bitte um eine Erklärung, indem du Ich-Botschaften sendest: “Ich verstehe die Situation nicht und ich merke, dass sie mich stark irritiert. Könnten wir darüber nochmal sprechen?"

Das nimmt deinem Gegenüber im besten Fall den Wind aus den Segeln und außerdem begibst du dich damit nicht auf dieselbe unsoziale Ebene wie dein:e (Nicht-) Gesprächspartner:in.

Wichtig ist, dass du bei dir bleibst und dich auch darauf vorbereitest, dass die andere Person deine Gesprächsaufforderung weiterhin ignoriert oder eine sehr kurz angebundene Antwort gibt. Das kann sehr frustrierend sein und ein ähnliches Gefühl wie Trauer hervorrufen.  Vielleicht hilft dir in diesem Fall der Gedanke, dass du alles getan hast und kannst somit die Verantwortung für die Situation abgeben.

Vielleicht ist dir aber auch bei der Analyse des Ganzen bereits klar geworden, dass das Problem bei deinem Gegenüber liegt und eine Gesprächsaufforderung vielleicht gar keinen Sinn macht. Hier kannst du mit einem Gefühl des Bedauerns für den oder die andere -  denn sie haben ja offensichtlich ein Problem und nicht du - die Situation für dich einfach abhaken. 

Denn im Zweifel sieht man sich immer zweimal im Leben. Dann ist immer noch Zeit zu schauen, ob es noch Gesprächsbedarf gibt oder nicht. Ob man etwas abhaken kann, merkt man schnell und klar, wenn man gut in sich hinein hört. Gegebenenfalls braucht es Unterstützung hierfür, dies geht oft einfach in einer einzelnen Coaching-Einheit.

Fazit

Ghosting im beruflichen Kontext ist nicht nur eine Herausforderung für die persönliche Integrität, sondern kann auch erhebliche Auswirkungen auf die Arbeitsatmosphäre und die Effektivität von Teams haben. Auch Privat ist Ghosting im Fach der Sozialkompetenz leider eine glatte sechs. Wichtig ist, die potenziellen Auslöser zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren.

Grundsätzlich wäre es wünschenswert, wenn im zwischenmenschlichen Miteinander sowohl in Unternehmen als auch im Privaten mehr Empathie, Verständnis und soziale Intelligenz vorherrschen würde. Nicht jeder Mensch ist hierbei von Haus aus gut. Für jeden ist es jedoch möglich, seine sozialen Skills zu verbessern und andere Wege des Miteinanders und der Konfliktlösung zu erlernen.