Scheitern als Chance
18.06.2023
Für verbesserten Lesefluss wird in diesem Text auf Gendern verzichtet. Selbstverständlich mögen sich alle Leser angesprochen und respektiert fühlen!
Mit Fehlern im Job umgehen: Wieso wir Scheitern als Chance begreifen sollten
Plädoyer für eine positive Fehlerkultur
Fehler passieren – jedem von uns. Die Frage ist nur, wie wir damit umgehen. Das Wort “Fehler” ist genau wie das Wort “Angst” in unserer Sprache fast immer negativ konnotiert, obwohl es ohne Fehler und ohne Angst kein Lernen, keine Weiterentwicklung und kein Überleben gäbe.
Viele von uns haben von klein auf gelernt, dass Fehler etwas Schlechtes sind und dass wir sie tunlichst vermeiden sollten, weil sie mit Scham und Strafe verbunden sind. Wer erinnert sich nicht an ein strenges “Wer war das?”, wenn beim Spielen etwas kaputt gegangen ist!? Oder noch schlimmer: Die Noten der Klassenarbeiten wurden in der Schule vor der ganzen Klasse laut vorgelesen und vom Lehrpersonal kommentiert. Ein Horror für Kinder, die nicht so gute Noten hatten. Schlimme Schamgefühle wurden damit einprogrammiert und begleiten viele bis ins Erwachsenenalter. Und dann wundern sich viele, dass ein unterbewusstes „Ich bin nicht genug“ sie immer weiter zu noch mehr Leistung antreibt, im schlechtesten Fall bis hin zum Burnout. Dies gilt allerdings nicht nur für Führungskräfte und Mitarbeiter, sondern auch für Auftraggeber und Auftragnehmer.
„Partnerschaftliche Zusammenarbeit“ steht immer schön auf der Verpackung drauf, in den Paketen finden sich oft aber nur Preisdruck und Angst-getriebene Arbeitsweisen. Oft nicht einmal bewusst wahrgenommen. In der Kreativbranche führt das oft zu Verschlimmbesserungen von kreativen Produkten, die so manches Mal am Ende weit weg von außergewöhnlich und gut sind, dafür aber “niemandem weh tun”. Wenn kreative Produkte wie ein Sack Schrauben verhandelt werden und wie eine Massenproduktion in Timings gequetscht werden, dann wird es schwierig.
Fehler im Job sind schambehaftet
Ähnlich wie der Horror bei den kommentierten Klassenarbeiten fühlt es sich auch oft an, wenn uns ein Fehler im Job passiert: Eine Deadline wurde nicht eingehalten, eine Mail übersehen, ein Auftrag nicht zufriedenstellend erledigt. Die geläufige Reaktion aus der Führungsetage ist auch hier oft: Wer war das? Wessen Schuld ist das? Wer hat seinen Job schlecht gemacht?
Andersherum kann es allerdings auch schlecht laufen: Mitarbeiter:innen werden nach einem Status gefragt und verhalten sich direkt wie viele Fußballspieler: Hände hoch und “Ich konnte nichts dafür!”. Auch wenn gar nicht nach der Verantwortung gefragt wurde.
Diese Reaktionen sind naheliegend, weil es gelernte Muster sind, die die meisten von uns verinnerlicht haben. Aber sind sie auch zielführend? Ich finde nein.
Solche Reaktionen wie “Wer war das?” führen zu Scham bei den betroffenen Mitarbeiter:innen und dazu, dass die eigentliche Ursache für die unzureichende Leistung unentdeckt bleibt. Genau wie die Mitarbeiter:innen-Reaktion “Ich kann nichts dafür” oft nicht zu einer Reflexion führt, was besser laufen könnte, sondern nur einem gelernten Verteidigungsmuster dient.
Vielleicht kommt gerade der Gedanke: “Ja, aber das ist doch nicht neu. Das war doch schon immer so.” Genau, erschreckenderweise ist das nicht neu, aber egal wo man hinschaut, läuft es oft noch genauso. Weil in Führungsetagen falsch reagiert wird und weil sich auch Mitarbeiter:innen immer noch entsprechend verhalten – zumindest oft.
Doch es gibt Grund zur Hoffnung: In immer mehr Unternehmen etabliert sich eine positive Fehlerkultur. Oder zumindest versucht man sich dem Thema zu nähern.
Positive Fehlerkultur: Fehler als Teil der menschlichen Natur bewerten
Das bedeutet, dass Fehler als Bestandteil menschlichen Handelns anerkannt werden. Und zwar von allen Seiten: sowohl von Vorgesetzten als auch von Mitarbeiter:innen. Bei auftretenden Fehlern geht es nicht um die Suche nach Verantwortung, sondern darum, welches Learning daraus gezogen werden kann. Denn nur durch eine offene Fehleranalyse lassen sich die Prozesse so verändern, dass sie weniger Fehleranfällig sind.
Wenn Fehler “verboten” sind – Die Konsequenzen einer negativen Fehlerkultur
Was passiert, wenn Mitarbeiter:innen das Gefühl haben, keine Fehler machen zu dürfen? Genau. Sie machen natürlich trotzdem welche. Die Mitarbeitenden werden jedoch versuchen, die Fehler zu vertuschen, um nicht dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Das kann fatale Folgen haben.
Ohne Fehler keine Veränderung
Zum einen wird es dadurch keine echte Aufarbeitung der Fehler geben. Und ohne diese können auch keine Abläufe und Prozesse verändert werden. Denn möglicherweise ließe sich der geschehene Fehler beim nächsten Mal verhindern, weil ein Workflow angepasst oder eine Kontrollinstanz eingeführt wird.
Wenn jedoch niemand erfährt, an welcher Stelle im Gefüge der Fehler passiert ist, weil sich niemand traut, darüber zu sprechen, ist auch keine Veränderung möglich.
Die Angst zu scheitern ist Gift für Kreativität
Außerdem kann die Sorge davor, Fehler zu machen und zu scheitern auch dazu führen, dass sich das Team nicht mehr traut, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Die Suche nach Innovation und Kreativität enthält zwangsläufig die Option darauf, dass es schiefläuft.
Nur dann wagen sich Menschen aus ihrer Komfortzone heraus und probieren Neues aus. Genau dieses Neue und Kreative ist es, was moderne Unternehmen brauchen, wenn sie heutzutage bestehen wollen. Beides gedeiht nicht im Umfeld von Angst davor, dass ein Fehler passiert.
Dazu müssen jedoch beide Seiten bereit sein: Mitarbeiter:innen müssen sich trauen, Fehler einzugestehen und nicht sofort in die Defensive zu gehen, wenn sie eine für sie unbequeme Frage gestellt bekommen. Und Führungskräfte sollten Skills etablieren, die ein solches Verhalten bei den Mitarbeitenden überhaupt erst ermöglichen.
Drei Tipps, wie Führungskräfte eine positive Fehlerkultur etablieren können:
1. Ein positives Vorbild sein
Menschen lernen am Modell. Damit die Mitarbeiter:innen sich trauen, ihre Fehler offen zu kommunizieren, ist es wichtig, dass auch die Chefs eine transparente Fehlerkultur betreiben. Denn auch Führungskräften unterlaufen Fehler, das ist völlig normal.
Entscheidend für die Team-Entwicklung ist, wie sie damit umgehen. Für die Mitarbeitenden kann es sehr ermutigend sein, wenn der eigene Chef ohne Scham seine Fehler zugibt oder eingesteht dass etwas nicht so gut gelaufen ist.
Dadurch spüren die Mitarbeiter:innen, dass sie ebenfalls eigene Fehler offen eingestehen können und sich diese auch verzeihen dürfen – ein wichtiger Punkt bei der Vermeidung weiterer Fehler.
2. Erlaubnis zu scheitern
Die wenigsten Fehler passieren uns dann, wenn wir uns gut in einem Bereich auskennen. Allerdings ist Routine auch wiederum Gift für Kreativität und Innovation. Wenn Führungskräfte diese im Unternehmen fördern möchten, sollten sie ihre Mitarbeiter:innen explizit dazu anhalten, sich auszuprobieren – auch auf die Gefahr hin zu scheitern.
Eine Möglichkeit könnte sein, dass Teams sich bewusst mischen und in neuen Arbeitsgebieten ausprobieren oder auch regelmäßige Kreativitäts-Sessions einzulegen, in denen auch ganz explizit etwas schief gehen darf. Das ermutigt auch dazu, dass Mitarbeitende sich nicht als “Opfer” einer negativen Unternehmenskultur sehen, sondern bereit sind, sich selbstbewusst einzubringen.
3. Empathie kultivieren
Die Angst davor, Fehler einzugestehen, ist dann am größten, wenn wir glauben, dass andere unser Missgeschick nicht nachvollziehen können. In einem Umfeld, in dem wenig Emotion und Austausch gelebt wird und es vor allem um Leistung geht, ist es schwer, sich verstanden zu fühlen.
Denn das ist es, was wir alle möchten: Wir möchten das Gefühl bekommen, dass mein Gegenüber meine Situation und mein Handeln nachvollziehen kann. Dadurch entstehen Verbindung und der Mut, authentisch zu sein.
Damit die Mitarbeitenden dieses Gefühl bekommen – auch dann, wenn Fehler passiert sind, ist es wichtig, dass im Unternehmen bereits vorher eine empathische Grundhaltung existiert. Diese kann zum Beispiel durch regelmäßige Mitarbeitergespräche, echtes Interesse an den Mitarbeitenden und offene Kommunikation zwischen den einzelnen Ebenen ausgedrückt werden. Und vor allem sollte die Kommunikation immer wertschätzend und nicht abwertend erfolgen. Abwertung ist inzwischen leider oft schon so zur Normalität geworden, dass sie keinem mehr auffällt, aber trotzdem etwas mit den Menschen macht.
Fazit aus meiner Sicht der Dinge:
Scheitern als Chance verstehen und Fehler als menschlich bewerten – Führungskräfte tun gut daran, diese Form der Fehlerkultur zu etablieren. Denn nur so lassen sich Fehlerquellen finden und Prozesse anpassen, damit weniger Missgeschicke passieren.
Führungskräfte sollten hier Vorbild sein, um ihren Mitarbeitenden das Gefühl zu geben, dass es keinen Grund für Scham oder Vertuschen eigener Fehler gibt. Nur so werden Mitarbeiter:innen sich trauen, eigene Kompetenzbereiche auszuweiten und neue Wege zu denken – auch wenn diese nicht immer Erfolgversprechend sind.
Möglicherweise klingt das alles nicht neu, aber wird es auch bereits umgesetzt? Hier hilft es, sich einfach mal selbst zu beobachten: Wie reagiere ich als Chef oder Mitarbeiter:in in solchen Situationen? Ist es mir möglich, von meinem etablierten Verhalten abzurücken und somit Raum für eine neue Fehlerkultur entstehen zu lassen?
In meinem Coaching ermutige ich Team-Leader, diese Wege in ihrem Führungsstil zu gehen. Für eine positive Unternehmenskultur, von der alle profitieren. Ebenso ermutige ich Menschen in meinen Coachings für Privatpersonen zu ihren Fehlern zu stehen und sich selbst dafür nicht zu verurteilen. Meist ist es alles nur eine Frage der Kommunikation. Mit sich selbst und auch mit anderen …